Mir geht es ja in vielen Punkten so wie Oliver Gassner und ich finde, dass Johnny Haeusler dieses Mal total daneben liegt. Entgegen meiner ursprünglichen Absicht möchte ich mich doch zu dem Thema bloggend äußern. Eigentlich wollte ich das nicht, weil ich in der letzten Zeit erst angefangen habe, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen, doch haben mich schon viele grundlegende Erwägungen dazu bewegt, zumindest die aktuell so viel diskutierte und nur noch bis morgen laufende Petition für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens zu zeichnen.
Wer die Idee noch nicht kennt, nur so viel: das bedingungslose Grundeinkommen verfolgt die Idee, jedem (im Sinne von Bürger oder Bewohner eines Staates) eine existenzsichernde Grundzahlung zu leisten – und das eben ohne Bedingungen, wie der Name ja schon nahelegt. Für die konkrete Umsetzung gibt es leicht abweichende Ideen. Die populärste, von Götz Werner vertretene, setzt auf eine radikale Steuervereinfachung, indem man nur primär Steuern über die Konsumsteuer (heute quasi die Mehrwertsteuer) erhebt. Mehr Konkretes und viel Weiterführendes dazu gibt es unter anderem im Archiv Grundeinkommen.
Wie das im einzelnen volkswirtschaftlich hinhaut oder nicht interessiert mich hier aber zunächst nicht, weil ich das einerseits nicht bewerten kann und anderseits denke, dass da wo ein Wille ist, auch ein Weg ist und das angestrebte System allemal besser und vor allem gerechter ist, als das, was wir derzeit haben.
Und es ist auch die Realität, die mich primär bedrückt und zu einem Denken in Richtung Grundeinkommen motiviert. So finde ich es grundsätzlich unakzeptabel, z.B. Obdachlose zu haben. Auch sind mir die Notlagen vieler Familien, Rentner aber auch junger Leute unangenehm und unverständlich. Die Ungleichheit der Verteilung der uns im Überfluss stehender Mittel stört mich. Ich selbst bin zwar nicht reich, habe es aber irgendwie immer geschafft, mich auf einem Mindestlevel zu halten. Ich sehe aber, wie dies anderen zunehmend misslingt und dies ist auch für mich ein Drama, weil es mich in jeder Hinsicht betrifft: menschlich und moralisch, aber auch sicherheitstechnisch, wirtschaftlich und in Hinblick auf meine eigene Lebensqualität.
Ein „ist mir egal“ geht also selbst dann nicht, wenn ich gänzlich nur auf meinen eigenen Vorteil bedacht wäre. Meine Stadt und Lebensraum leidet, wenn dort viele leiden. Krankheit und sozialer Niedergang anderer belastet mich auch auch immer indirekt über gestiegene Kosten, nicht mehr zur Verfügung stehende Resourcen und mich umgebende schlechte Laune. Abgesehen davon will ich auch, dass es anderen auch gut geht.
Die Kampagne zum bedingungslosen Grundeinkommen tangiert mich aber auch in zwei anderen Punkten, die mich schon Zeit meines Lebens beschäftigen. Es hat mir z.B. noch nie eingeleuchtet, dass möglichst viele Leute „in Arbeit“ sein sollen. Ich definiere „Arbeit“ schon immer als „Tätigkeit, die ich eigentlich nicht tun möchte“. Arbeit ist etwas, was mir nicht behagt. Nur kurze Zeit in meinem Leben war ich in Situationen, wo ich eine „Arbeit“ übernommen habe und es hat jeweils nicht lange – meist wenige Wochen – gedauert und ich war auf und davon. Weil ich es einfach nicht kann.
Tätigkeiten, die mir liegen, sind keine Arbeit. Ich habe kein gutes Wort dafür, es ist einfach das, was ich tue. Ich rolle stets mit den Augen, wenn mir z.B. Leute unterstellen, ich würde noch „arbeiten“, nur weil ich nachts in einer Bar sitze und an langen Texten, Source Code oder was auch immer tippe. „Nein“, sage ich dann immer, „ich mach doch nur…“ und verstumme dann meist, weil es ja eh keiner verstehen würde.
Das ewige Streben nach „Arbeit“ ist mir unverständlich. Aber mir ist klar, warum Leute „Arbeit“ haben wollen: sie wollen ein Einkommen, Geld, damit sie sich ihr eigenes Leben und das ihrer Familie finanzieren können. Und natürlich fliesst dieses Geld aus „Arbeit“. Stellt man sein eigenes Streben nach Entfaltung und Kreativität hinten an und widmet die eigene Zeit anderen, dann muss das entschädigt werden. Das ist das, was unser Wirtschaftssystem und der sog. „freie Markt“ fördert und das ist soweit auch ganz okay. Nur schwächelt unsere Gesellschaft auch genau in diesem Punkt: nur Dinge, die Werte für andere schafft, haben einen Wert. Widme ich meine Zeit Dingen, die kein „Geld“ erzielen, ist diese Tätigkeit nichts wert – sie trägt nicht zu meinem Einkommen und damit zu meinem Überleben bei.
Natürlich gibt es viele komplizierte Konstruktionen wie Pflegegeld und was nicht alles, das hier und da versucht, einen Ausgleich zu schaffen. Allein glaube ich nicht, dass dies wirklich funktioniert. Darf man den zirkulierenden Zahlen glauben, schüttet unsere Gesellschaft über all die komplizierten Regelungen schon gut 750 EUR pro Nase aus. Allerdings sehr ungleich verteilt und mit einem unfassbaren bürokratischen Aufwand. Den bürokratischen Weg kann und will nicht jeder gehen, so dass auch hier eine neue Ungerechtigkeit entsteht.
Die Gesellschaft schafft sich Werte und Güter und damit einen Wohlstand. Wer will und kann darf durch Arbeit einen größeren Kuchen davon erhalten. Aber nicht jeder erhält Arbeit und viele nur solche, die eigentlich unwürdig in Ausprägung oder Entlohnung ist (häufig auch beides).
Hier greift die Idee, eines Grundeinkommens. Das Grundeinkommen sichert nun jedem das Lebensminimum und stellt einen vom Zwang, solche Tätigkeiten zu akzeptieren weitgehend frei. Arbeit ist nur noch Zuarbeit, das Grundeinkommen sichert Würde, Gesundheit, Ernährung. Allein diese drei Komponenten sind schon die Grundlage für die von mir oben beschriebene Wunschsituation, die ich für meine Umgebung sehe. Ich will umgeben sein von Menschen, die ihre Würde und Gesundheit wahren können und immer genug zu essen haben. Menschen, die nicht betteln müssen, nicht stehlen müssen und nicht elend sein müssen, nur um zu überleben.
Ein Studium ist mit Grundeinkommen kein Balanceakt mehr zwischen Nebenjob und Bafögrückzahlung. Ein Kind großzuziehen ist nicht mehr mit Gefahr des Verlustes auf einen grundsätzlichen Lebensstandard verbunden. Der Lebensabend kann in Würde begangen werden. Man gewinnt Ruhe, seine Schritte im Leben zu planen.
Auch wenn ich auf mein Leben schaue, hätte mir das Grundeinkommen einiges sicherlich vereinfacht. Nehmen wir ein Projekt wie Chaosradio Express. Es macht großen Spass, so ein Projekt durchzuziehen, aber es muss immer in der Realität des Mindesteinkommens stehen. Nicht jedem ist es möglich, einen solchen Balanceakt zu leisten. Mir gelingt es durch eine Verquickung meiner über die Zeit angesammelten Talente und einen wackeligen Auftragsmix. Mit einem Grundeinkommen müsste ich über solche Sachen deutlich weniger nachdenken. Ich hätte Ruhe und Zeit, meinen Stil, mein Format und – noch viel wichtiger – meinen Beitrag zur Gesellschaft nachzudenken.
Und das ist der zweite Punkt, wo mich das Grundeinkommen in einem besonderen Masse tangiert: es nimmt den Zwang zur Prostitution im Erwerbsleben heraus und belohnt das Engagement für die Mitbürger. Viel wird geredet darüber, wie toll und wichtig ein Ehrenamt ist – leisten kann es sich kaum einer. Mit einem Grundeinkommen könnten wir eine Konjunktur für das Ehrenamt schaffen, wie wir es sonst nicht erleben werden.
Was ist so schlimm an Arbeitslosigkeit, wenn wir das Einkommen zum Überleben einfach sichern. Wir könnten so viel gewinnen: keine unterernährten Kinder in der Schule, keine mittellosen und obdachlosen Menschen in der Stadt, ein Leben umgeben von Menschen, die aus eigener Kraft ihre Würde wahren können (die Würde, die laut unserem Grundgesetz unantastbar ist!), eine derzeit wohl noch nicht vollständig fassbare Vereinfachung des bürokratisch-fiskalischen Systems, ehrenamtliche Tätigkeit und kreativ-künstlerische Arbeit erhält eine neue Basis.
Ich will nicht sagen, dass die bisher vorgeschlagenen Modelle die besten Erfindung seit geschnitten Brot ist und danach die Würste durch die Luft fliegen und jeder Mensch ausreichend Sex hat. Viele Probleme werden bleiben, ein paar neue vielleicht entstehen. I don’t know. Aber ich habe das Gefühl, dass hier die Richtung stimmt, dass die Motivation passt und dass es sich hier um eine Utopie mit Hand und Fuß handelt. Überhaupt wird es Zeit, den Ist-Zustand stärker zu hinterfragen, denn ich denke es ist offensichtlich, dass unsere Marktwirtschaft derzeit weder ausreichend sozial noch unsere Solidarität ausreichend implementiert ist.
Und deswegen stimme ich für ein Grundeinkommen in Form einer Petition, von der ich weiß, dass ihr nicht in absehbarer Zeit eine wirkliche Revolution der Verhältnisse folgen wird. Aber es ist glaube ich langsam nötig, Basisarbeit zu leisten und Meinung zu zeigen. Und vor allem Mut zur Veränderung.