Seit gut dreieinhalb Jahren produziere ich nun schon Chaosradio Express. Einst als Ergänzung und Experimentierfeld zu Chaosradio geplant hat es eine organisatorische und inhaltliche Eigenständigkeit entwickelt, die mich selbst etwas überrascht hat.
Ich mache mir viel Gedanken darüber, wer CRE hört und vor allem wie. Die Hörertreffen der letzten Zeit (und das letzte in München ist da keine Ausnahme) waren in der Hinsicht außerordentlich hilfreich, die verschiedenen Hörgewohnheiten und Verständnismuster zu verstehen, die in der mittlerweile recht großen Hörergemeinde vorherrschen.
Doch bezieht sich ein Teil der Forschung auch auf mich selbst. Ich versuche zu verstehen, wie ich selbst an die Sache herangehe und welches Verhalten gute und welches weniger gute Sendungen (die es natürlich auch gegeben hat) erzeugt. Was als gut und schlecht empfunden wird varriert natürlich, aber ich selbst glaube einen guten Riecher dafür entwickelt zu haben, wann eine Sendung gut angenommen wird, wann sie „funktioniert“. Glaube ich.
Manchmal bin ich mir vor der Aufnahme schon sicher, dass eine Sendung gut wird, manchmal bin ich vom Ergebnis überrascht, bisweilen enttäuscht. Die Enttäuschung bezieht sich dabei auf mich, da es ja meine Aufgabe ist, den richtigen Gesprächspartner für das richtige Thema und für die Aufnahme den richtigen Ort und Zeitpunkt zu finden. Es muss passen.
Aber noch viel mehr hängt davon ab, wie ich selbst in die Sendung hereingehe. Weiß ich zu wenig laufe ich Gefahr, wichtige Aspekte des Themas zu übergehen. Weiß ich zu viel kann es passieren, dass ich selbst zu sehr in die Erzählerrolle übergehe und Dinge, auf die ich vielleicht sonst gestossen wäre, übergehe (der Serendipity-Effekt, der meist entstanden ist, wenn so ein richtig überzeugendes „echt?“ von mir gebe :)
CRE-Sendungen sind lang. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele Leute diese Sendungen tatsächlich in voller Länge hören und das manchmal sogar mehrere Male hintereinander, um sich einem Thema wirklich ausführlich zu nähern. Um so mehr kann ich nur zu gut verstehen, wenn Leute berichten, dass sie bei der einen oder anderen Sendung „abgeschaltet“ haben: entweder mental (so dass der Rest nur noch als sekundäre Berieselung durchs Hirn gleitet) oder ganz entschlossen durch Druck auf die Stop-Taste. Das lässt mich immer fragen: was haben sie verpasst?
Manche Sendungen lassen sich schwierig an und auf halber Strecke denke ich mir: „Au weia, das ist ja ganz schön zäh, ob sich das noch entwickelt?“. Manchmal entwickelt sich nichts mehr (ich nenne jetzt mal keine konkreten Episoden), manchmal allerdings entwickelt das Format gerade hier seine Stärke: wenn ich dranbleibe, nachfrage, ich mein wiederholtes Nichtverstehen eingestehe und einigermassen hartnäckig versuche, das Gesagte einzuordnen (obwohl mancher Hörer sich schon denken mag „Oh Mann, der Pritlove peilt ja heute mal wieder gar nix“), dann auf einmal gibt es diese goldenen Momente wo ein Aha-Effekt eintrifft, von dem ich denke, dass er im Idealfall in dem Moment auch beim Hörer synchron eintrifft (ein Beispiel für diesen Effekt mag – muss aber nicht – die PyPy-Folge gewesen sein). Tritt das ein, hat das Format „funktioniert“.
Diese Momente, wo das Hirn auf einmal umschwenkt, mentale Türen aufgehen und bisher unverständliche Kontexte total schlüssig und einleuchtend erscheinen sind diese wunderbare Kraft des Lernens, die ich selbst so schätze.
Mir wurde im Leben wenig beigebracht – nicht, weil es niemand versucht hätte, sondern weil ich mehr Spass und Erfolg damit habe, es mir selbst beizubringen. Universitäten haben mich gelangweilt (aber vielleicht war ich auch einfach nur zu faul oder ungeeignet, deren Lernmodell zu akzeptieren). Sehr viel mehr Erfolg hatte ich damit, anderen Leuten Dinge beizubringen. Nichts half mir mehr beim Lernen, als das. Ein guter Lehrer ist nur, wer versteht, warum jemand anderes nicht versteht. Und ein richtig guter Lehrer ist der, der es versteht, diese Blockade zu lösen und dafür zu sorgen, dass beim Lernenden auf einmal Klarheit entsteht und der eigentliche Lerneffekt eintritt.
Ergo machte ich mein eigenbautes Mitteilungsbedürfnis und mein latentes Rampensaudasein zum Katalysator für meine eigene Wissensvermittlung. Das war schon in der Schule so und es hat sich bis heute nicht geändert. Schon als junger Bursche verbrachte ich viel Zeit damit, Siemens-Programmierern in wöchentlichen Kursen UNIX-Programmierung und -Administration beizubringen – zu einer Zeit, als es quasi noch kein General Knowledge darüber gab (ich spreche von Ende der 80er Jahre) und das ganze auch noch ohne jegliche formale Qualifikation (wenn man mal vom Erreichen des Abiturs absieht, wofür sich aber eh niemand jemals interessiert hat).
Das Lustige daran war, dass ich von den Inhalten meist noch auf dem Flug zum Ort des Geschehens nur ansatzweise Kenntnis hatte und mir das meiste Detailwissen aus Büchern am Abend vorher aneignete, während ich meine für damalige Verhältnisse gute Bezahlung zu einem Großteil noch vor Ort in japanischen Edelrestaurants verpulverte. Das war aber in der Tat eine hilfreiche Investition.
Wichtiger als das Wissen war die Methode der Vermittlung: möglichst plastische Beispiele, eine halbwegs unterhaltsame Präsentation und eine vor allem eine sehr persönliche Atmosphäre helfen ungemein. Noch wichtiger ist es aber, die Leute dabei zu beoabachten, wie sie die Inhalte während ihrer Vermittlung aufnehmen. Solange nicht dieser Ausdruck der Klarheit und Entspannung über den Gesichtern liegt, ist etwas falsch und bedarf der Wiederholung, Intensivierung oder Reiteration. Die Teilnehmer sind dann in der Regel auch sehr dankbar für das Maß an Aufmerksamkeit und verzeihen kleine Faux Pas oder Wissenslücken noch eher. Win/Win sozusagen.
Und genau hier wird es für mich immer wieder spannend, denn in einer Radiosendung fehlt mir dieser direkte Kontakt zum Hörer. Ihr seid für mich unsichtbar, aber doch präsent. Für jeden Hörer mitzudenken während man die nächste Frage formuliert oder ein Detail ein weiteres Mal hinterfragt ist die eigentliche Herausforderung bei Chaosradio Express. Und das zeckt mich ungemein. Und es macht mir immer wieder großen Spass. Und das ist der Moment, an dem ich auch selbst am meisten lerne.
Und deswegen ist CRE eines der tollsten Projekte, an denen ich je gearbeitet habe. Es ist, als würde man einen Bildungsauftrag erfüllen, den man nie erhalten hat. Und trotz der gewachsenen Reichweite fühlt sich alles immer noch sehr familiär und persönlich an. Ich hoffe und glaube, dass das noch eine Weile so weiter geht und sich da noch einiges draus entwickelt.
An dieser Stelle möchte ich mich auch noch mal für die große Unterstützung aus der ganzen Community bedanken, die ich in Form von Anerkennung, Aufmunterung, Begeisterung, Teilnahme, Mitarbeit, Gesprächspartnern, Vorschlägen, Kritik und Spenden erhalte. Das alles hilft ganz ungemein und ohne das wäre CRE sicherlich nicht auf über 120 Sendungen gekommen.