Das Dilemma der elektronischen Wahl

Stephan Schwab schrieb einen Kommentar zu meinem letzten Blog-Eintrag, auf den ich hier mal etwas ausführlichen eingehen möchte, weil die Fragestellung häufiger auftaucht:

Da fragt man sich nur warum es eigentlich so schwer ist eine vergleichsweise einfache Sache wie eine Stimmabgabe auf einem Computer richtig hinzukriegen. Scheint als würden da nur wirkliche Stümper in diesen Projekten beschäftigt werden. Und niemand will es richtig machen.

Es ist deshalb so schwer, das richtig hinzukriegen, weil es nicht geht.

In dem Moment, wo man seine Stimme einem elektronischen System übergibt, verlässt sie unsere Sicht. Die Stimme wird zu einem unsichtbaren Signalfeld. Niemand kann mehr überprüfen, was mit ihr passiert.

Die einzige Möglichkeit, die Stimme sicher zu zählen, bedeutet, die Stimme von Beginn an kryptographisch eindeutig zu markieren, um sie damit später wieder sichtbar und für alle verifizierbar zu machen. Aber dann ist die Stimme zwangsläufig nicht mehr anonym, da mir ein Zugang eingeräumt werden muss, um den Inhalt meiner Stimme zu überprüfen. Wenn ich die Stimme überprüfen kann, können andere mich zwingen, ihnen diesen Weg ebenfalls zu öffnen, womit ich erpressbar werde. Wenn Druck auf mich ausgeübt werden kann, ist die Wahl nicht mehr frei. Die Anonymität oder die Freiheit bei der Stimmabgabe aufzugeben ist nicht akzeptabel.

Wen man es „richtig machen“ will lässt man die Elektronen und Signalfelder zu Hause und setzt auf das Papierverfahren, das als einziges die Freiheit, die Anonymität und Geheimhaltung der Wahl vollständig sicherstellen kann.

Zwei große Diskussionen stehen noch aus. Die Diskussion über Internet-Voting und die über reine Stimmzettel-Zählsysteme. Internet-Voting ist dead on arrival, da es alle Probleme der Wahlcomputer potenziert.

Stimmzettel-Zählsysteme sind ein anderes Problem und benötigen einen anderen argumentativen Ansatz. Sie sind meiner Auffassung nach aber zumindest bedenklich. Der Digitale Wahlstift hat schon mal mindestens das Problem des Ausspähens, da sich dann ein elektronisches Gerät in der Wahlkabine befindet. Die Anonymität der Stimme ist nicht hundertprozentig sichergestellt.

Ein Gerät, das die Stimmzettel nach dem Einwurf in die Urne zählt (z.B. ein Scanner), bricht zumindest nicht mit der Anonymität. Es kann allerdings unzuverlässig sein und muss von starken manuellen Kontrollzählungen begleitet werden. Ob sich das letztlich wirklich lohnt, steht auf einem anderen Blatt.

Wahlen müssen aber auch einfach bleiben bzw. noch einfacher werden als sie es derzeit sind. Transparenz und Nachvollziehbarkeit ist auch für das Gefühl der Menschen wichtig, damit sie zu der Wahl stehen können und ihre Ergebnisse akzeptieren. Der Einsatz von Computern trägt nicht unbedingt zur Vereinfachung des Wahlsystems bei, weil Computer komplexe Auszählungen einfacher durchführen können und einem Arbeit abnehmen, die man sich vielleicht besser nicht abnehmen lassen sollte. Auch, wenn diese Arbeiten nicht primär kritische Komponenten der Wahl sind.

Schon Überhangmandate basieren auf einem recht komplizierten Auswertungsschema, das eigentlich für niemanden so ohne weiteres nachvollziehbar ist. Diese Komplexität sollte möglichst vermieden werden, auch wenn sie teilweise versucht, den Wählerwillen „besser“ zu fassen.

Die elektronische Wahl ist ein Dilemma. Sie bringt wenig Lösungen und viele Probleme mit sich, die nur wenige durchschauen. Wir brauchen sie nicht, aber sie gerät leicht außer Hand.

9 Gedanken zu „Das Dilemma der elektronischen Wahl

  1. Hi,
    guter Artikel. Du schreibst am Ende, dass die elektronische Wahlwenig Lösungen bietet, ich frage mich was sie überhaupt für Lösungen bietet, ausser die Wirtschaft anzukurbeln und ne Stunde früher ein Ergebnis zu haben. Richtige Argumente konnte ich bisher noch nicht finden.

    BTW Wird es nicht bald Zeit für eine eigene Wahlcomputer-Kategorie? ;)

  2. Johnny hat auf Spreeblick neulich n Link zu dieser „HBO Hacking Democracy“ Dokumentation gepostet. Da wurde demonstriert das die Diebold Geräten mit einer modifizierten Speicherkarte manipuliert werden können. Und diese Geräte waren auch „Zettelscanner“. Das Problem war dort dann das die Stimmzettel garnicht mehr ausgezählt wurden, etc.

    Wenn es hier Systeme ala Wahlstift oder Zettelscanner gibt, werden über kurz oder lang die Papierstimmzettel auch nicht mehr ausgezählt.

    Ich frag mich warum manche nicht einsehen wollen dass man mit Computern nicht alle Probleme lösen kann.

  3. ich freue mich unglaublich über das maß an vernunft, das aus den argumenten gegen die wahlcomputer spricht. das ist ein warmer regen in einer dürren landschaft der idiotie.

  4. Da es anscheinend noch keiner getan hat, möchte ich zum Thema einmal auf den Klassiker verweisen, den eigentlich jeder der sich ansatzweise mit Security befaßt, kennen sollte:
    „Reflections on Trusting Trust“ von Ken Thompson,
    http://www.acm.org/classics/sep95/

    Und den beiden Wolfgangs sollte bitte endlich jemand eine Merkbefreiung ausstellen.

  5. Was mich sehr ärgert ist der Ansatz von Security by Obscurity. Mann versucht die Sicherheit von Wahlen zu verbessern, indem man den Quellcode verbirgt. Gleichzeit verhindert man aber die Möglichkeit der Kontrolle, wie denn eigentlich gezählt wird. An diesem Widerspruch sollte doch jedem klar werden, das Wahlen mit Computer nicht demokratisch sind.

  6. Pingback: Stephan Schwab

  7. So schön ist die Idee mit der kryptographischen Markierung nicht, denn sie hebt die Anonymität der Stimme auf. Wenn ich einen technischen Zugang zu meiner Stimme erhalte kann dieser Zugang auch auf Druck dritten zugänglich gemacht werden. Dieses widerspricht der freien Wahl.

  8. Ich wollte mich mal an dieser Stelle bedanken für die vielen wertvollen Tipps die ich hier gelesen habe. Ich bin immer wieder von neuen erstaunt, was es doch so alles gibt. Durch das bloggen lerne ich immer wieder neues dazu.

  9. Pingback: Zum Stand Von Liquid Democracy – klagefall

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