Wahlcomputer müssen sterben

Ein Gespenst geht um: elektronische Demokratie. Eine Heerschar von Technikverliebten zieht umher und glaubt tatsächlich, man könne durch Computer mehr direkte Beteiligung erreichen, indem man sie für die Automatisierung eines Wahlprozesses einsetzt. Mehr Gerechtigkeit durch Geschwindigkeit? Mehr Persönlichkeit durch Automatisierung? Mehr Beteiligung durch Delegation an die Maschine? Ich sage: fucking for virginity.

Da liest man bei Heise von einem „Wissenschaftler“, Politische Wahlen per Internet sollen selbstverständlich werden, ganz „einfach und unproblematisch“. Das wäre dann bald „ganz natürlich“ und dann auch bald „selbstverständlich“.

Wie gut Wahlcomputer für die Demokratie sind kann man ja seit ein paar Jahren in den USA sehen (und wie es den Anschein hat, auch gerade in Mexiko). Die Maschinen von Diebold, die nachweislich grundsätzliche Lücken aufweisen, entscheiden dort offensichtlich seit mindestens zwei Wahlen das Endergebnis. Trotz aller Proteste gibt es nicht mal Anzeichen eines Aufwachens. Aber das ist ja nur die USA, das kann uns ja nicht passieren. Wir haben dafür so hirntote Professoren, die sich in ihren realitätsfernen Universitäten einschliessen und und das alles mit Formeln beweisen. Allerdings lassen diese Modelle eines außer Betracht: die Realität.

Die Realität ist: kein Mensch kann garantieren, dass ein Gerät X zum Zeitpunkt Y den Ablaufplan Z tatsächlich ausführt. Niemand. Da hilft kein Siegel, kein Kontrollbeamter und ja, auch kein Open Source. Denn die Software kann immer noch so offen und noch so frei sein: wenn sie am Ende nicht zum Einsatz kommt, ist das alles balla balla. Und es gibt immer einen Weg herum.

Merke: die wichtigste Komponente einer Wahl ist ihre Nachprüfbarkeit. Eine Wahl, deren Ergebnis nicht nachgeprüft werden kann ist keine Wahl. Es ist ein vorprogrammierter Betrug. Und wenn auch alle Menschen aufrichtig, wohlmeinend oder auch mit Tonnen von Ecstasy sediert sind: wo es eine Sicherheitslücke gibt, wird sie ausgenutzt. Und wer Interessen zu verteidigen hat, wird davon Gebrauch machen. Wer noch nicht weiß wovon ich rede soll sich nur mal kurz seinen Spamfolder anschauen und mir sagen, ob er leer ist.

Das absurdeste an der ganzen Wahlcomputer-Diskussion ist das folgende: es gibt kein Problem. Diese ganze Elektrowähler laufen rum und tun so, als würden demnächst komplette Städte unter Wasser stehen, weil ein amtliches Endergebnis einer Wahl, die nur alle vier oder fünf Jahre stattfindet, nicht in einer sondern nur in zwei Stunden fertig ist. So what? Für die maximale Nachprüfbarkeit nehme ich die Stunde gerne in Kauf. Kann ich mir zwischendurch auf YouTube noch ein paar kreischende Teenager anschauen, die irgendwelche 80er Jahre Hits karaokisieren. Kein Problem. Ich hab Zeit.

Ich sage es nochmal: es gibt kein Problem. Das aktuelle System mit Zetteln und Kreuzen funktioniert soweit wunderbar und bei begründeten Zweifeln durch Auffälligkeiten oder auch nur Verdacht auf Konspiration kann man die Dinger schön nachzählen. Eins nach dem anderen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass das Kreuz an der Stelle ist, wo der Wähler es hingesetzt hat ist auch sehr groß, da er es ja mit seinen Augen gesehen und mit den Fingern gefühlt hat, als er das Kreuz gesetzt hat. Wahlcomputer haben nur große Icons auf einem kalten Bildschirm zu bieten. Wer schon mal ’nen Ticket bei der Bahn am Automaten gekauft hat braucht wahrscheinlich nicht lange um zu begreifen, dass bei diesen „einfachen“ Systemen die Verwirrung erst anfängt. Aber was noch viel wichtiger ist: wer garantiert mir, dass mein Druck auf A nicht stattdessen bei B „ankreuzt“? Na? Na? Genau: keiner kann das. Niemand. Personne. Nobody. Nadie.

Und nochmal: Es gibt kein Problem. Aber es gibt es ja auch noch Leute, die sind der Meinung, das mit dem Papier wäre ja viel zu teuer. Und wenn schon. Für eine unbescheissbare Demokratie gebe ich gerne noch mehr Geld aus. Aber sinnlos viel Geld in Maschinen zu stecken, die gewartet, programmiert, kontrolliert, nochmal kontrolliert, doppelt und achtfach verplombt und nochmal versiegelt werden müssen nur um dann immer noch keine Sicherheit zu garantieren will ich keinen Pfifferling ausgeben.

 

Ganz schlaue Füchse kommen dann mit tausend doppelten Böden, Papierbelegen und allem möglich Foo, um die chronische Bescheissbarkeit dieser Systeme zu umgehen. Aber ich gestatte mir die einfache Frage: welches Problem wollt ihr eigentlich lösen mit Euren tollen Maschinen? Wenn mit den Dingern doch alle so toll wird, warum muss man sie dann mit Konzepten fixen, die jetzt bereits die Grundlage des Vorgangs bilden?

Womit wir beim tollen Schlagwort „Digitale Demokratie“ wären. Das klingt für mich so ein wenig wie „digitaler Gemüsekuchen“ oder „digitaler Sex“. Demokratie ist ja von den denkbaren Gesellschaftsmodellen auch nur eine und ist auch nicht ohne ihre Fehler. Zumal wir hier bereits in einer Demokratie auf Basis der Delegation leben. Aber die Delegation erfolgt an Leute, die man wählt. Solange dieser Bezug gegeben ist, kann man zumindest noch hoffen, einen Einfluss zu haben.

Aber mit Wahlcomputern – und ja, ich sage nicht Wahlmaschinen, weil sie keine Maschinen sondern eben Computer sind: diese kleinen virustriefenden, fehlermeldungsaffinen und dateifressenden Monster, die wir alle aus dem täglichen Horror kennen – also mit diesen Wahlcomputern können wir unsere kleine Demokratie auch gleich einpacken. Da hilft auch die Version auf „mehr Einfluss“ und „mehr Entscheidungen“ nicht. Die Schweizer haben das übrigens auch schon seit längerem mit Papier implementiert, dafür braucht es keine Computer. Ob es nun so sinnvoll ist, mit der aktuellen Volksbildung über jedes komplexe Gesetz abzustimmen, ist auch noch eine andere Frage.

Aber macht Euch eines klar: wenn wir die Wahlcomputer zulassen (und einige sind – wie ich finde ohne ausreichende Rechtsgrundlage – auch in Deutschland schon im Einsatz), dann ist einfach Schluß mit Lustig. Bösewicht X wird dann fix mal Hacker Y für Betrag Z an die Geschichte ransetzen und dann ist Ende. Nein, kein aber. Es wird genau so kommen und ich würde sogar so weit gehen und sagen: Leute, die für Wahlcomputer „votieren“ stecken letztlich mit solchen Machenschaften unter einer Decke.

Und natürlich ist jedes Wahlsystem bescheissbar, aber basiert es auf Papier und richtigen Menschen, dann hat man ein paar unschlagbare Vorteile: einerseits ist jeder Beschiss zunächst höchst lokal und kann nur unter massivem personellen Aufwand ausgeweitet werden. Und kommt es doch mal dazu, dann haben wir auch eine Reihe von Zeugen, die später ihr Gewissen reinigen können und die Sache kommt ans Licht. Das, was nicht ans Licht kommt lässt sich vernachlässigen. Schwund ist immer.

Aber mit Wahlcomputern ist dem keine Grenze gesetzt. Computer haben kein Gewissen. Aber Computernetzwerke und Computersysteme können beliebig manipuliert werden und diese Manipulation zu finden ist auch für einen ausgewiesenen Experten ggf. schwierig bis unmöglich. Papier und Kreuze versteht auch noch der letzte Proll. Jeder nur ein Kreuz! Ganz einfach. Und so einfach muss es bleiben, denn wenn wir uns eine Demokratie zulegen, die nur noch von Experten verstanden und vom Evil H@x0r of the Week jederzeit umgangen werden kann können eigentlich gleich einpacken.

Vom CCC gibt es eine gute ausführliche Kampagnen-Seite zu dem Thema. Und Ulrich Wiesner hat auf dem 22C3 zu dem Thema auch schon einen aufschlussreichen Vortrag gehalten.

Weitersagen.

PS: Nach dem Wahlcomputer-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass 2009 diese Systeme glücklicherweise quasi verboten hat, habe ich mit Ulrich Wiesner auch noch einen Podcast zu dem Thema gemacht. Das ist auch noch mal alles schön formuliert worden, warum auf Computer im Wahlprozess unbedingt verzichtet werden muss.

Englischer Wikipedia-Artikel zum Camp?

Sagt mal Leute, hat nicht mal jemand Lust, eine englische Variante des Artikels über das Chaos Communication Camp zu machen? Ich meine, wenn alle mithelfen, sollte sich da doch was machen lassen, oder? Ich spende dann auch noch ein paar tolle Bilder :)

Genau genommen könnte die deutsche Version auch noch ein wenig Futter vertragen. Findet ihr nicht?

Kann man empfehlen

Durchaus zu empfehlen: die gestrige Sendung des Chaosradio. Nicht so sehr wegen des Themas (das hätten wir durchaus besser ausarbeiten könne), sondern vielmehr der guten Laune wegen: ab 1:40:00 wird es echt lustig. Was hamwa gelacht :)

Vielen Dank an die Posse im Chat, die die Sendung mal wieder hilfreich begleitet hat. So wünscht man sich das.

22C3 als Podcast

Wie gestern schon auf dem CCC Events Weblog verkündet, gibt es die Aufzeichnungen des 22C3 jetzt auch als leicht abonnierbaren Podcast: Audio und Video.

Um mal zu sehen, ob es angenommen wird, habe ich auch für die anderen Audioformate einen Podcast Feed erstellt: einen für Ogg Vorbis und einen für MPEG-4 AAC. Man beachte, dass diese Feeds auf der Chaosradio Website nicht im Sidebar auftauchen, aber sie werden solange auf dem Server bleiben bis ich weiß, ob sie auch genutzt werden. Feedback welcome.

Auf jeden Fall schönes iPod-Futter. Ich selbst empfinde das auswählen von Vorträgen via Podcast Client als extrem übersichtlich und komfortabel. Was meint ihr?

FrOSCon: Sonstiges

Ich bleibe meiner Tradition treu, von jeder Veranstaltung von der Keynote zu berichten und danach nicht mehr in die Laune zu kommen, auch den Rest zu bloggen. Man kommt danach einfach zu schnell in den Flow und kümmert sich eher ums Soziale. Und jetzt ist auch schon vorbei.

Die Atmosphäre hier war wirklich gut. Die Veranstalter hatten sich zwar noch etwas mehr Teilnehmer erhofft, aber für eine Erstveranstaltung finde ich die ca. 300 Leute hier schon ein gutes Ergebnis. Die Stimmung unter den Leuten ist prima und beim kollektiven Fussballkucken, Würstchenvernichten und Biertrinken gab es viele angeregte Gespräche zum nächsten Congress. Ich habe einiges interessantes Feedback bekommen und es wurden ein paar gute Ideen entwickelt.

Also: gut gemacht. Es ist schön zu sehen, wie im Chaosumfeld zunehmend gute Veranstaltungen entstehen und damit die Regionen und auch die Themenfelder bereichern.

FrOSCon: Keynote

Die FrOSCon ist eine international angelegte Veranstaltung, auch wenn ich meine Zweifel habe, dass hier wirklich ein internationales Publikum zusammengekommen ist. Bei der Eröffnung hat sich keiner gemeldet, als gefragt wurde, ob jemand nicht deutsch spricht. Aber vielleicht ist deutsch ja auch auf dem Weg, eine populäre Sprache in Europa zu werden (I don’t believe it). Ich blogge hier auf jeden Fall auf deutsch über die Veranstaltung.

Die Keynote ist also auf englisch, gehalten von Martin Michlmayr und es geht um Software-Qualität. Interessantes Futter für das kommende Chaosradio am nächsten Mittwoch, wo es auch Projektmanagement von Software-Entwicklung geht.

Die erste Viertelstunde hält sich weitgehend mit allgemeinen Betrachtungen und Analysen von Quality Assurance auf. Unter anderem gab es die Feststellung: „Some people do care about good user interfaces“. Pfiffig! Count me in. Dass man das noch erwähnen muss?

Martin führt weiter aus, dass zwar auf SourceForge ca. 1.000.000 Entwickler und 100.000 Projekte registriert sind, aber nur die wenigsten tatsächlich Aktivität und qualitative hochwertige Ergebnisse liefern.

Am Ende bin ich ein wenig enttäuscht, denn obwohl das Thema interessant ist, wird mir nicht so ganz klar, welche Punkte Martin nun tatsächlich herausstellen möchte und welche Schlussfolgerungen und Empfehlungen er selbst hat, um die Qualität zu verbessern. Der Vortrag erscheint mir mehr eine Aufstellung der Gesamtumstände und ich merke, wie wichtig Slides sind. Seine Slides sind die üblichen, überladenen Slides mit bis zu 15 Zeilen Text, die nicht klar machen, welchen Beitrag sie zum Vortrag leisten sollen. Ein Punkt wie „Security Updates“ unter „Quality Issues“ sagt mir nichts: tragen die Security Updates dazu bei, die Qualität zu erhöhen? Oder sind sie selbst ein Problem? Seufz.

Am Ende aber dann doch noch ein paar Empfehlungen: erstelle Dokumentation für Entwickler, erstelle Test Suites, benutze Versionskontrolle. Und mann solle Wege finden, Qualität zu messen, zu verbessern, zu automatisieren und seine Praktiken zu dokumentieren.

FrOSCon

Ich nach einer holprigen Nacht im Nachtzug heute morgen auf der FrOSCon aufgeschlagen. Auf den ersten Blick wirkt alles wohlorganisiert und wohlgelaunt. Internet gibt es auch. Ich bin gespannt.

Sachen packen

Nachdem ich heute meinen Vortrag über CCC und Blinkenlights gehalten habe werde ich heute nacht meine Sachen packen und morgen früh in die Heimat zurückdüsen. Wird auch langsam wieder Zeit für mehr Fußballwahnsinn. Hier ist es mir in der Beziehung echt zu zurückhaltend.

Die Bilanz ist erfreulich. Um den mama net.culture club herum gibt es eine interessante, technisch begabte und überaus freundliche Szene und die Communiaty-Arbeit, die hier mit dem mama geleistet wird ist echt vorbildlich. Ich habe das heute auch noch in einem Interview mit Tomislav Medek (aka Tom) vom Mutlimedia Institute hübsch zusammengefasst bekommen. Ich werde den Podcast sobald wie möglich auf Chaosradio International posten.